Der Zollernalbkreis im Zweiten Weltkrieg: Zwischen Zwangsarbeit, politischer Sonderstellung und historischem Erbe
Der Zollernalbkreis, eingebettet in die Schwäbische Alb, ist heute ein Symbol für landschaftliche Schönheit und kulturelle Vielfalt. Doch während des Zweiten Weltkriegs war die Region Schauplatz von Zwangsarbeit, Konzentrationslagern und politischen Umbrüchen. Dieser Artikel beleuchtet die dunklen Kapitel der Geschichte und zeigt, warum der Zollernalbkreis eine besondere Rolle im NS-Staat spielte.
🏰 Historischer Kontext: Die Hohenzollern und die politische Sonderstellung
Der Zollernalbkreis entstand erst 1973 durch die Kreisreform, doch seine Wurzeln reichen tief in die Geschichte zurück. Die Region war bis 1945 in zwei Teile gegliedert:
- Hohenzollerische Lande (u.a. Hechingen, Sigmaringen): ehemals preußisch, mit Sonderstatus im Deutschen Reich.
- Württembergische Gebiete (u.a. Balingen, Ebingen): Teil des Landes Württemberg.
Diese politische Zweiteilung führte zu unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen und prägte die lokale Identität. Die hohenzollerischen Gebiete wurden direkt von Berlin verwaltet, was ihnen eine gewisse Autonomie gegenüber dem württembergischen Innenministerium verschaffte.
🗳️ Politische Mehrheiten und NS-Machtübernahme
Vor 1933 war die politische Landschaft im Zollernalbkreis stark fragmentiert:
- In industriellen Zentren wie Ebingen und Tailfingen hatten die SPD und KPD zeitweise großen Einfluss.
- In ländlichen Gebieten dominierten konservative Kräfte wie das Zentrum oder die DNVP.
Mit der Machtergreifung Hitlers 1933 wurden alle Parteien außer der NSDAP verboten. Die Gleichschaltung der Verwaltung verlief im Zollernalbkreis vergleichsweise reibungslos – auch wegen der preußischen Verwaltungstradition in den hohenzollerischen Landen. Lokale Funktionäre wurden durch NS-treue Beamte ersetzt, und die Bevölkerung wurde durch Propaganda, Jugendorganisationen und Kontrolle gleichgeschaltet.

⚙️ Zwangsarbeit und Konzentrationslager: Das „Unternehmen Wüste“
Ab 1943 wurde die Region Teil eines geheimen Projekts zur Treibstoffgewinnung aus Ölschiefer – dem sogenannten „Unternehmen Wüste“. Ziel war es, die kriegswichtige Mineralölversorgung durch synthetische Verfahren zu sichern.
📍 Die sieben KZ-Außenlager im Zollernalbkreis:
- Schömberg (Bahnhofs-KZ): Ab Dezember 1943 betrieben, bis zu 800 Häftlinge. Nähe zum Bahnhof erleichterte Transporte.
- Dautmergen: Später errichtetes Lager mit direkter Verbindung zum Ölschieferwerk.
- Dormettingen
- Frommern
- Lautlingen
- Bisingen
- Eckerwald
Diese Lager waren Außenstellen des KZ Natzweiler-Struthof im Elsass. Die Häftlinge – meist aus Auschwitz und Natzweiler deportiert – mussten unter unmenschlichen Bedingungen Ölschiefer abbauen und in den Ölwerken arbeiten. Nur vier der geplanten zehn Werke gingen überhaupt in Betrieb.
💀 Lebensbedingungen und Todeszahlen
- Krankheiten wie Tuberkulose breiteten sich rasch aus.
- Häftlinge wurden laut Zeitzeugen mit Formaldehyd-Spritzen getötet.
- Leichen wurden zunächst im Schönhager Loch verscharrt, später auf den KZ-Friedhof zwischen Dautmergen und Schömberg umgebettet.
🧠 Was machte den Zollernalbkreis besonders?
Der Zollernalbkreis war kein typisches Kriegsgebiet – und gerade das machte ihn besonders:
- Industrielle Infrastruktur: Textilindustrie in Albstadt, Maschinenbau in Balingen – ideal für Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit.
- Geografische Lage: Abseits der Front, aber gut angebunden durch Bahnlinien.
- Politisch-administrative Sonderstellung: Die hohenzollerischen Lande hatten eine direkte Verbindung zur Reichsregierung.
- Technisches Zentrum des Unternehmens Wüste: Schömberg war das Herzstück der Ölgewinnung aus Ölschiefer.
🕊️ Erinnerungskultur und Aufarbeitung
Die historische Aufarbeitung begann spät. Erst in den 1980er Jahren wurden Gedenkstätten errichtet und Archive geöffnet. Heute erinnern:
- KZ-Friedhof Dautmergen-Schömberg
- Gedenkstätte Bisingen
- Kreisarchiv Balingen mit umfangreichen Dokumenten und Zeitzeugenberichten
Die Webseite des Landratsamts Zollernalbkreis bietet Zugang zu Archivmaterial, darunter Berichte über das geschnitzte Spielzeug von Häftlingen – ein erschütterndes Zeugnis der Verzweiflung und Menschlichkeit im Lageralltag.

🏭 Unternehmen „Wüste“ – NS-Zwangsarbeit im Zollernalbkreis
Ein dunkles Kapitel der Geschichte, das nicht in Vergessenheit geraten darf.
📖 Hintergrund
Das sogenannte Unternehmen Wüste war ein verzweifelter Versuch des NS-Regimes, aus Ölschiefer synthetischen Treibstoff zu gewinnen. Nach dem Verlust der rumänischen Ölfelder und der Zerstörung deutscher Hydrierwerke durch alliierte Bombenangriffe sollte die Produktion durch Zwangsarbeit aufrechterhalten werden.
Zwischen 1944 und 1945 entstanden entlang der Bahnlinie Tübingen–Rottweil sieben Außenlager des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof:
- Bisingen
- Dautmergen
- Dormettingen
- Erzingen
- Frommern
- Schömberg
- Schörzingen
⚙️ Die Ölschieferwerke
In unmittelbarer Nähe zu den Lagern wurden zehn Werke geplant, von denen vier tatsächlich in Betrieb gingen. Die Häftlinge – über 11.000 Männer aus ganz Europa – mussten unter unmenschlichen Bedingungen Ölschiefer abbauen und verarbeiten. Die Ausbeute war gering, der Treibstoff minderwertig – doch der Preis war hoch: mindestens 3.480 Menschen starben durch Hunger, Krankheit, Gewalt oder auf Todesmärschen.
🕯️ Gedenken und Mahnung
Heute erinnern mehrere Orte im Zollernalbkreis an die Opfer:
- KZ-Gedenkstätte Bisingen mit Dauerausstellung und Dokumentationszentrum
- Ehrenfriedhöfe in Schömberg, Schörzingen und Bisingen
- Gedenkpfad Eckerwald, ein Wanderweg mit Informationstafeln und Mahnmalen
Diese Orte sind nicht nur historische Zeugnisse, sondern auch Mahnmale gegen das Vergessen und für die Würde der Opfer.
📚 Quellen & weiterführende Informationen
- Museum Bisingen – Unternehmen Wüste
- Landratsamt Zollernalbkreis – Konzentrationslager des Unternehmens Wüste
- Landeszentrale für politische Bildung BW – Materialien zum Thema

🕊️ Verborgene Orte der Erinnerung: Der KZ-Friedhof in Schömberg und Bisingen
Zwischen Hecken und Industriegebiet liegen stille Mahnmale, die nicht laut sprechen – aber viel erzählen. Als ich das erste Mal am KZ-Friedhof in Schömberg vorbeifuhr, habe ich ihn ehrlich gesagt übersehen. Erst beim zweiten Blick wurde mir klar, dass sich hinter den gepflegten Hecken und der zurückgesetzten Lage ein Ort der Erinnerung verbirgt. Ein Friedhof – und noch mehr: ein KZ-Friedhof.
📍 KZ-Friedhof Schömberg – versteckt, aber nicht vergessen
Der KZ-Friedhof Schömberg liegt etwas abseits der Straße, eingebettet in eine ruhige Umgebung. Von außen wirkt er unscheinbar, fast wie ein gewöhnlicher Grünstreifen. Doch wer genauer hinsieht, erkennt die Gedenkstele, die Namen der Opfer und die Lerninseln, die über das „Unternehmen Wüste“ informieren – ein NS-Projekt zur Ölgewinnung aus Schiefer, bei dem tausende Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen litten.
Ich selbst habe den Ort nie betreten. Die Totenruhe ist mir heilig, und ich empfinde es als respektvoller, nicht einfach „einzuchecken“, sondern still innezuhalten – auch wenn es nur vom Straßenrand aus ist.
🛣️ KZ-Friedhof Bisingen – zwischen Industrie und Geschichte
Der KZ-Friedhof Bisingen liegt auf der anderen Seite der B27, erreichbar über das Industriegebiet. Laut Google Maps gibt es dort einen Parkplatz, doch die Umgebung wirkt auf mich weniger einladend. Es heißt, dass sich dort gelegentlich zwielichtige Personen aufhalten – was mich persönlich davon abgehalten hat, näher heranzugehen.
Trotzdem verdient auch dieser Ort Aufmerksamkeit: Über 1.100 namenlose Opfer wurden hier beigesetzt, nachdem sie 1946 aus Massengräbern umgebettet wurden. Der Friedhof ist frei zugänglich und Teil der lokalen Gedenkkultur.
🧭 Warum solche Orte wichtig sind – auch wenn wir sie nicht betreten
Nicht jeder muss Gedenkstätten aktiv besuchen, um sich zu erinnern. Manchmal reicht ein Moment der Reflexion – beim Vorbeifahren, beim Lesen, beim stillen Nachdenken. Die KZ-Friedhöfe in Schömberg und Bisingen sind stille Zeugen einer dunklen Vergangenheit im Zollernalbkreis. Sie erinnern uns daran, dass Geschichte nicht nur in Museen lebt, sondern auch am Straßenrand, hinter Hecken, zwischen Industriehallen.
🔗 Quellen mit Verlinkung
- Geschichte des Zollernalbkreises: Weimarer Republik bis Nationalsozialismus
https://www.zollernalbkreis.de/zollernalbkreis/landkreis/geschichte
Diese Seite bietet einen historischen Überblick, darunter Abschnitte zur Zeit des Nationalsozialismus im Kreisgebiet. - Kriegsende und Nachkriegszeit (Zollernalbkreis 1945-1949) – Heimatkundliche Blätter
https://www.leo-bw.de/en/detail/-/Detail/details/DOKUMENT/wlbblb_labi/4730320/70%20Jahre%20Frieden%20%20Kriegsende%20und%20Nachkriegszeit%20im%20Gebiet%20des%20heutigen%20Zollernalbkreises%201945-1949%20-%20von%20Dr%20Andreas%20Zeko
Aufsatz über das Kriegsende und die unmittelbare Nachkriegszeit im Kreisgebiet. - „Über 12.000 Häftlinge waren es im Zollernalbkreis“ – SWP-Artikel zum Kriegsende
https://www.swp.de/lokales/balingen/80-jahre-kriegsende-ueber-12000-haeftlinge-waren-es-im-zollernalbkreis-78010381.html
Thematisiert das NS-Konzentrationssystem, Lager und Zwangsarbeit im Kreis. - Vernichtungslandschaft „Wüste“ – archäologische Perspektive auf KZ-Außenlager und Industrieanlagen (NS Schieferölprojekt im Zollernalbkreis)
https://www.gesellschaft-archaeologie.de/vortr%C3%A4ge-einzelansicht/vernichtungslandschaft-w%C3%BCste-eine-arch%C3%A4ologische-perspektive-auf-die-konzentrationslager.html
Informationen über die Außenlager des so genannten „Unternehmens Wüste“. - Gedenkstätten & Erinnerung – Gedenkort-Filme im Zollernalbkreis
https://regio-kunstwege.eu/beitraege/digitalreihe-zu-gedenkorten
Teil einer Film-& Kunstreihe, die Mahnmale und Erinnerung im Kreis an NS-Verbrechen darstellen.